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Eine Begegnung aus der Vor-Corona-Zeit

Kurt liebt Sachsen.
Seine Vorfahren kamen von dort. Aber das war lange her. Sehr lange.
Aber dieses wunderschöne Kultur-Land mit seinen abwechslungsreichen Landschaften, seinen hellwachen, humorvollen Menschen, Dresden oder Leipzig, alles das hatte es ihm angetan. Ja, selbst den gutturalen Dialekt im Lande der Vorfahren mochte er.
Endlich war er wieder dort. Fortbildung im Elbetal. Morgens erwachen mit Blick auf die Bastei, jenes faszinierende Felsmassiv der sächsischen Schweiz. Erhebend. Entsprechend gehoben war Kurts Stimmung. Diese steigerte sich noch, als er den freien Nachmittag nutzte zu einer Zugfahrt in die Landeshauptstadt.
Kurz nach der Wende war er dort in Dresden gewesen, als die Trümmer-Steine der Frauenkirche noch in Regalen aufgereiht darauf warteten verbaut zu werden. Entlang der Prager Straße gingen Pornobuden und improvisierte Bankfilialen ihrem Geschäft nach. Aber das war lange her. Sehr lange.
Jetzt reihen sich dort die Tempel der kapitalistischen Marktwirtschaft aneinander. Die weiträumigen Flächen zwischen den Hotelhochhäusern aus sozialistischer Zeit sind mit Ladenzeilen gefüllt. Der Konsum hat die Freiflächen erobert. All diese Eindrücke aufsaugend, schlenderte Kurt durch den windig kühlen Sonnentag.
Lange unterhielt er sich mit Karl-Heinz, der in der Fußgängerzone seiner Mission nachgeht. Dem Kommunismus. Die rote Sowjetfahne über der Schulter mit Kunstpelzmütze auf dem Kopf, steht er täglich da wie das Relikt einer untergegangenen Welt und propagiert den kommenden Sieg der kommunistischen Weltrevolution. Seine selbstverfassten Schriften bietet er feil wie andere den Wachturm. Ein frommer Eiferer für den Sozialismus. Doch ohne Furor. So unterhielten die beiden älteren Herren aus so verschiedenen Welten sich lange, und Kurt zog irgendwann seiner Wege mit einem kommunistischen Pamphlet und einem Foto von dem politischen Fossil im Handy.
Nach dem Besuch des Grünen Gewölbes machte der Dresden-Besucher sich auf den Heimweg. Schnell noch ein Fläschchen Wein besorgen. Erst Galerie, jetzt Galeria. Von der Elbe sollte der gute Tropfen sein. Ein Regionaler. Auch das Budget durfte er aus gegebenem Anlass überschreiten.
Nur eine Kundin war vor unserem Genießer an der Kasse. Ihre Dialektfärbung verriet sie als eine von hier. In ihrem Alter hatte sie vielleicht sogar ein paar Jährchen länger in der HO oder dem Konsum und der Kaufhalle eingekauft als in den Ketten-Läden aus dem Westen.
Die Taschen waren gefüllt, und es ging ans bezahlen:
"Enundfuchzig, siebenundgwanzig – was, iber fuchzig Euro. Was wor denn so deuer?!"
Kontrollierender Blick der Verkäuferin: "Die Budenbrust; die kost fünf, siebenundsechzig. – Ach Gottchen! Kann ich die zurüchgäbn? – No machense!- dann sinds noch äh fünfnvierzig,sechzig."
In Kurts Seele, der ja direkt danebenstand, rumorte es. Er sah die Kundin in seinem Alter mit ihren billig gefärbten Haaren und der Krücke im Einkaufswagen, an der sie lief. Er sah sie als junge Frau im VEB, später in der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und jetzt in der Rente am Wachstuch in der Küche in ihrer Plattenwohnung. Sie muss sich doch auf die Putenbrust gefreut haben. 
Kurt nahm allen Mut zusammen:
"Entschuldigung, wäre es Ihnen recht, wenn ich Ihnen die Putenbrust bezahlen würde. – No sicher können se die kaufen, die is ja jetzt frei. – Nein, Ihnen kaufen – Mir? Na das habe ich noch nie erläbt! Na das nähme ich an. Danke. Nee sowas."
Ungläubige Staunen bei Kundin wie Kassiererin. Kurt bezahlte seinen Wein samt Putenbrust und ging mit der Bemerkung: "Mir geht’s gut. Ich erinnere mich aber noch sehr genau, wie es ist, wenn man jeden Pfennig zweimal rumdrehen muss. Lassen Sie sich die Putenbrust schmecken!"
Die wohlwollenden Blicke der beiden an der Kasse verfolgten den fröhlichen Geber, als er mit lachendem Herzen die Rolltreppe bestieg.
Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb, heißt es im Neuen Testament.  (Heb. 9,7)
©Peter K. Sorg


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